Was ist der Zweck der Bildung? Warum sollen Kinder in die Schule gehen und lernen? Wenn man viele Leute heute so hört, glaubt man, Bildung habe nur die Aufgabe, junge Menschen möglichst optimal auf eine Berufsausbildung und auf das spätere Berufsleben vorzubereiten. Das ist eine außerordentlich traurige Verkürzung.
Wir Menschen kommen als weitgehend unbeschriebenes Blatt auf die Welt, das sich im Laufe des Lebens füllen muss. Wir entwickeln uns das ganze Leben hindurch. Bildung soll uns dazu in die Lage versetzen, eigenständig über die Welt und unseren Platz darin nachzudenken, selbstbestimmt und verantwortungsvoll unser Leben zu gestalten, eine positive Wirkung auf das Leben unserer Mitmenschen zu entfalten und Verantwortung für das Ganze, für die Menschheit und die Welt, zu übernehmen. Uns Ziele zu setzen, für die wir uns einsetzen. Uns Werte zu geben, für die wir einstehen.
Auch Arbeit gehört zu diesem Leben dazu. Aber es ist bei Weitem nicht der wichtigste Teil. Wir bringen nur einen vergleichsweise kleinen Teil unseres Lebens damit zu. Gemessen an unserer Lebenszeit sind es in der Regel weit unter zwanzig Prozent, die wir für eine Erwerbsarbeit aufwenden.
Es wäre falsch, den Menschen auf die materielle Seite seiner Existenz zu reduzieren. Der Mensch ist mehr als ein Subjekt, das arbeitet und konsumiert. Wichtig ist, dass wir ganze Menschen sind. Die Arbeit gehört dazu, aber viele andere Aspekte noch mehr: Familie, Freundschaften, persönliche Entfaltung, gesellschaftliche Verantwortung. Bildung soll uns dazu verhelfen, dass wir ganze Menschen werden, dass die positiven Facetten des Menschseins in uns reifen und schließlich zur Geltung kommen. Dass aus einem unbeschriebenen Blatt die Erzählung eines erfüllten Lebens werden kann. Eines Lebens, das Erfüllung nicht nur in sich selbst, sondern auch in den Leben der anderen sucht.