Im griechischen Pantheon gab es Götter für alles mögliche: für die Liebe, für die Weisheit, für gute Ernten — für alle Lebensbereiche war vorgesorgt. Im Vergleich dazu ist der militaristische Pantheon heutiger Zeitrechnung eine mehr als kümmerliche Veranstaltung. Er besteht nur aus einer Handvoll Göttern, denn mehr braucht es nicht in der schönen neuen Welt des Militarismus. In den heiligen Hallen findet man jetzt nur noch den Gott der Aufrüstung, den Gott der Abschreckung, den Gott der Konfrontation, den Gott der Eskalation. Und über ihnen allen thront Mars, der Gott des Krieges und seit nicht allzu langer Zeit der neue Göttervater. Alle anderen Götter wurden in hohem Bogen aus dem Himmel hinausgeworfen, allen voran die Göttin der Weisheit, mit der die Militaristen nun wirklich nichts am Hut haben und wohl auch nicht haben wollen.
In einer Welt, die solchermaßen kriegsbesoffenen ist, die solche Götter anbetet und verehrt, gibt es freilich keine Sicherheit mehr. Auch wenn nur allzu gerne das Gegenteil behauptet wird. Die Situation ist ungefähr diese: man bittet uns, das dumme Volk, auf einem Pulverfass Platz zu nehmen, stellt noch ein paar dutzend Pulverfässer drum herum und meint mit gönnerhafter Miene, dass wir uns jetzt ganz sicher fühlen dürfen. Das ist die verkorkste und verhunzte Welt, die die herrschenden militaristischen Kreise für uns bauen. Die Welt als Munitionslager, das uns jederzeit um die Ohren fliegen kann. Eine Welt, in der für das Militär immer Geld da ist, für die Menschen aber nicht. Letztere taugen nur dafür, die fette Rechnung zu bezahlen. Und als Kanonenfutter. Gemeinsame Sicherheit für alle Länder? Ein Ende der Konfrontationen? Diplomatie auf Augenhöhe? Kooperation? Frieden? Das war einmal. Das ist jetzt alles von gestern. Und kann weg in die Tonne. Wir machen jetzt einen tollkühnen Salto mortale rückwärts, nach vorvorgestern, direkt hinein in die selige Zeit, in der Kriege und Gewalt noch normale Mittel der Politik waren. Alle Lehren aus der Geschichte — vergessen. Erster Weltkrieg, zweiter Weltkrieg, all die anderen Gemetzel — Hauptsache nichts dazugelernt.
Um uns die bittere Kost des Krieges schmackhafter zu machen, werden uns wieder alte Feindbilder aufgetischt. Der Feindbildtrick ist nie zu alt, nie zu plump, nie zu ausgelutscht, um ihn höchst erfolgreich zu recyceln. Ein echter Evergreen der „strategischen Kommunikation“ (früher sagte man einfach Propaganda). Dampfend heiß werden uns die Feindbilder serviert, um uns Angst zu machen und uns zu empören. In den grellsten Farben werden sie an die Wand gemalt. Der Russe steht wieder vor der Tür, und auch der Chinese schielt schon auf unsere Rohstoffe in Afrika, der freche Dieb. Gestern noch ein Hungerleider, und heute will er auf einmal auch an den Fleischtopf ran. Was fällt dem eigentlich ein? Und auf der Insel Taiwan will er sein eigenes Territorium partout nicht hergeben, der Verbrecher. Nicht mit uns! Natürlich ist der Feind das reine Böse, und wir sind selbstredend das reine Gute. Graustufen? Noch nie gehört. Vorurteile? Keine Ahnung, was Sie meinen. Dass auch Demokratien Verbrechen begehen — siehe Irakkrieg, siehe Gazakrieg? Kann gar nicht sein. Scheinheiligkeit und Gewalt sind Trumpf im großen Spiel der Geopolitik, im blutigen Match um die Vorherrschaft über die Welt. Dass diese Vorherrschaft auf den Knochen von Menschen errichtet wird — so what! Wir werden darüber einfach schweigen. Und worüber geschwiegen wird, das hat es auch nie gegeben. Die Sieger schreiben die Geschichte. Jegliche Desinformation, und wenn es die Wahrheit selbst ist, wird konsequent beseitigt. Und wenn gar nichts mehr geht, wenn doch die Wahrheit ans Licht kommen sollte, dann können wir die Schuld immer noch den Bösen in die Schuhe schieben. Sie tragen die alleinige Schuld. Sie haben uns einfach keine andere Wahl gelassen. Dann sagen wir noch irgendetwas von wegen „Kollateralschäden“ und verdrücken noch ein paar Krokodilstränen. So haben wir das Narrativ immer unter Kontrolle.
Willkommen in der Welt der Starken, die den Schwachen zeigen, wo es in der regelbasierten Ordnung langgeht. Willkommen auf dem Planeten der Affen, die sich zwar hochtrabend Homo sapiens nennen, in Wirklichkeit aber immer noch mustergültige Affen sind. Das Survival of the fittest geht in die nächste Runde. Darwin lässt grüßen. Der große Fleischwolf und, gleich daneben, die große Knochenmühle laufen schon mal warm. Eine große Arbeit liegt vor ihnen.