Von kritischen Geistern und Meistern des Vorurteils

In den sozialen Medien, an den Stammtischen der digitalen Moderne, tummeln sich eine ganze Menge Leute, die sich für kritische Geister halten. Manche nennen sich auch gleich so mit ihrem Nickname. Nun kann man sich aber auch Papst oder Gott nennen, ohne Papst oder Gott zu sein. Die Naturgesetze hindern einen daran nicht, die Wahrheit genauso wenig. Nur weil sich jemand für einen kritischen Geist hält und er sich so nennt, heißt das noch lange nicht, dass er auch einer ist.

Dabei bräuchten wir kritische Geister wirklich dringend. Klares, kritisches Denken, geleitet von einem Gefühl der Mitmenschlichkeit, und entsprechendes Handeln würde einen großen Teil unserer heutigen Probleme lösen. Um kritisch zu sein, reicht es aber nicht, einen Kübel voll Kritik über anderen auszugießen. Ein kritischer Geist muss auch und gerade eine kritische Grundhaltung gegenüber sich selbst und seinen eigenen Ansichten einnehmen. Er muss sich darüber im Klaren sein, dass nicht nur die anderen irren und falsch liegen können, sondern auch er selbst.  Seine Ansichten können vielleicht wahr sein, sie können aber auch falsch sein. Das Bewusstsein, dass wir womöglich nichts wissen und alles nur vermuten, ist meines Erachtens die Grundlage eines klaren, sich selbst gegenüber ehrlichen Denkens.

Wer dagegen zu allem klatscht und nickt, was seine eigene, vorgefasste Meinung zu bestätigen scheint, und alles andere, was dem widerspricht, ablehnt oder sogar völlig ausblendet, ist kein kritischer Geist. Er ist ein Meister des Vorurteils, das ja. Aber kein kritischer Zeitgenosse.