Das Leben ist kostbar

Vor ein paar Jahren war ich für eine kleine Herbstwanderung am Main. Der Weg führte zuerst durch die Weinberge, später dann ging es hinauf auf einen Höhenweg, der sich zwischen Wald und Feldern hindurchschlängelte.

Der Anblick der herbstlich verfärbten Bäume erinnerte mich daran, dass nicht nur das Leben vergänglich ist, sondern mehr noch: dass das ganze Leben auf der Erde irgendwann einmal vergehen wird. Wenn die Sonne älter wird, wird sie auch heißer, bis irgendwann das Leben auf der Erde schließlich unmöglich wird. Spätestens wenn sich unser Zentralgestirn zu einem Roten Riesen aufbläht, ist es mit dem Leben auf der Erde endgültig vorbei. Gut möglich, dass die ganze Erde von der Sonne verschluckt wird und schlichtweg verdampft. Und wenn es die Menschen nicht schaffen sollten, den Planeten zu verlassen oder die Erde als Ganzes mit Hilfe technischer Mittel zu retten, dann wird das auch der Untergang der letzten Menschen sein.

Das alles liegt zwar noch in einer fernen Zukunft, aber trotzdem wird es irgendwann einmal soweit sein. Die Frage ist deshalb: ist angesichts dieses finalen Szenarios das Leben der Erdbewohner sinn- und wertlos? Ist all ihr Streben umsonst?

Sicher nicht. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: gerade weil das Leben vergänglich ist, gerade weil es auf der Erde irgendwann einmal enden wird, ist es etwas Kostbares. Es ist nicht vergeblich.

Insbesondere ist das Leben viel zu kostbar, um es einfach zu verschwenden. Zu kostbar, um sich mit Menschen abzugeben, die die Dummheit mit Löffeln gefressen haben, oder die Herzlosigkeit, oder gleich beides. Zu kostbar, um die Zeit einfach in einer Platonschen Höhle namens Fernsehen oder Internet totzuschlagen. Was das allein für ein Begriff ist: die Zeit totschlagen! Zeit totschlagen, das heißt nichts anderes als Lebenszeit totschlagen. Das sollte man sich öfters mal vergegenwärtigen. Es wäre besser, etwas mit lieben Menschen zu unternehmen, sich gegenseitig Lebenszeit zu schenken, füreinander da zu sein. Oder auch mal einfach für sich selber da zu sein, statt immer nur für andere zu funktionieren.

Die hohe Kunst ist, etwas zu hinterlassen, das bleibt, solange es Menschen gibt. Das Leben der Menschen zu verbessern oder zu verschönern, ihnen etwas zu geben, das ihren Geist erweitert, das sie wachsen lässt und aus der Verkümmerung befreit. Etwas, das sie in ihrem tiefsten Inneren berührt. Auch wenn es irgendwann wieder verschwindet, weil die Menschheit aufhört zu existieren: dann war es trotzdem nicht umsonst.