In vielen Denksphären gibt es eine Tradition, zwischen guten Mördern und bösen Mördern zu unterscheiden. Die westliche Denksphäre ist da keine Ausnahme. Auch sie ist in dieser Kunst in höchstem Maße bewandert.
Die goldene Regel lautet: die guten Mörder findet man ausschließlich im eigenen Nest, während das andere Nest nur die bösen Mörder hervorbringt. Freilich nennt man die guten Mörder niemals Mörder, das klingt nämlich zu unfreundlich. Lieber nennt man sie Patrioten, Freiheitskämpfer oder Friedensstifter. Und man tut so, als ob die Waffen, mit denen sie ihr Friedensgeschäft betreiben, pure Gerechtigkeit über den Menschen herabregnen ließen. Das hört sich doch schon viel besser an. Ein guter Zweck, und wenn er nur fantasiert ist, heiligt jedes Mittel. Das ist eine jahrtausendealte Kulturtechnik, die die Menschen perfekt beherrschen. Auch im neuerdings so sehr auf Werte bedachten Westen.
Aber auch wenn man die guten Mörder nicht Mörder nennt, Mörder sind sie allemal. Die Wahrheit bleibt immer die Wahrheit, egal, welches Kleidchen aus Lügen man ihr überzieht. Man frage nur einmal die vielen Ermordeten im Jenseits. Sie wissen, was die Wahrheit ist, denn sie haben sie selbst erlebt. Sie sind Legion. Sie stehen dort in der Dunkelheit und klagen an. Männer, Frauen und Kinder. Alte und Junge. Sie verlangen Gerechtigkeit.
Doch darauf können sie noch lange warten. Für jegliche Klagen ihrer Opfer sind alle Seiten taub. Gerechtigkeit können jene allenfalls in hundert Jahren erfahren, wenn die hochverehrten Täter und ihre noch ehrenwerteren Anstifter nach einem glücklichen und erfüllten Leben friedlich entschlafen sind. Aber nicht in der heutigen Zeit.